Eugen Sänger wurde am 22. September1905 im böhmischen
Preßnitz geboren. Als Dreizehnjähriger wurde er von seinem Physiklehrer
zur Auseinandersetzung mit der Raumfahrt angeregt, der ihm den Roman"Auf
zwei Planeten" (Kurd Laßwitz, 1897) schenkte.
Eugen Sänger erarbeitete bereits in den
40er
Jahren die Grundlagen moderner Raumtransportsysteme
1923 begann er sein Studium des allgemeinen Bauingenieurwesens (Hoch- und Tiefbau)an der TH Graz; nachdem er Hermann Oberths Buch "Die Rakete zu den Planetenräumen" (1923) gelesen hatte, verlagerte er seinen Studienschwerpunkt gleich in Richtung Flugzeugbau, Statik und Konstruktion. In diesen Fächern legte er 1927 die erste Staatsprüfung ab.
Anders als die Raketenpioniere Oberth, Goddard und Ziolkowski war Sänger jedoch vom aeronautischen Weg zur Weltraumfahrt überzeugt, also der Weiterentwicklung von Flugzeugen zu Raumflugzeugen anstelle der Verwendung ballistischer Raketen. Diesen Weg zur Raumfahrt bezeichnete er als "Wiener Schule", denn auch die Österreicher Dr. Franz von Hoefft, Max Valier und Guido von Pirquet waren vom aeronautischen Weg überzeugt. Sänger hatte sog. "Lebensprogramme" angelegt, in denen er seine Ziele formuliert und die verwirklichten Punkte nacheinander abgehakt hatte. Diesem Plan blieb er sein Leben lang treu. Um 1929 formulierte er seinen Weg zur Raumfahrt wie folgt:
Es folgten Experimente zur Optimierung der Brennkammern, wobei unter anderem die regenerative Zwangskühlung mittels Röhrchentechnik entstand. Die zunächst noch sehr kleinen 50 bar Hochdrucktriebwerke, die mit Kerosin/LOX betrieben wurden und Ausströmgeschwindigkeiten von über 3000 m/s bei Temperaturen von 3000 C an der Brennraumwand erreichten, waren der Ursprung der modernen Raketentriebwerke, denn z.B. auch das US-Space-Shuttle besitzt Triebwerke, deren Düsen und Brennkammern durch Treibstoff gekühlt werden.
Doch es wurde für Eugen Sänger zunehmend schwieriger, Gelder für seine Forschungen zu erhalten, so daß er nach Deutschland ging. Ab 1. Februar 1936 arbeitete er bei der Deutschen Versuchsanstalt für Luftfahrt (DVL) in Berlin-Adlershof, ab Februar 1937 bei der Deutschen Forschungsanstalt für Luftfahrt (DFL) in Trauen in der Lüneburger Heide, wo er vom Reichsluftfahrtministerium den Auftrag erhielt, ein raketentechnisches Forschungsinstitut einzurichten. Am Trauener Forschungsinstitut, zur Tarnung offiziell als Flugzeugprüfstelle bezeichnet, konnten Raketen mit bis zu 100 t Schub getestet werden. 100 bar Brennkammerdruck und über 3000 m/s Austrittsgeschwindigkeit wurden erzielt.
Gesamtübersicht über einen Hochdruck-Brenkammerversuch
in
Trauen; in halber Höhe rechts die Beobachterstände
Gleichzeitig wurden zwischen 1939 und 1944 Versuche mit Staustrahltriebwerken durchgeführt, zunächst auf einem LKW, später auf einer Do-217 E-2. Die Triebwerke besaßen Leistungen bis zu 20000 PS. Weiterhin wurden eine optimierte Rumpfform und ein keilfömiges Flügelprofil für ein Hyperschall-Raketenflugzeug erarbeitet.
Erstmals wurde auch die Gleitreibung von Metallen bei Geschwindigkeiten bis 800 km/h untersucht. Projektile wurden in eine kreisförmige Schiene geschossen, um Reibung und Andruck durch Fliehkraft zu erhalten. Die Versuche dienten der Vorbereitung eines Startschlittens für das projektierte Raketenflugzeug.
Neben den vielen Experimenten führte Sänger
weiter theoretische Überlegungen zum erdnahen Raumflug mit geringstmöglichem
Energieaufwand, einen sog. Rikoschettierflug, durch.
Die Ergebnisse wurden in einem Projektbericht "Über
ein Raketen-Raumflugzeug" abgefaßt, das erweitert um militärische
Kapitel 1944 unter dem Titel "Über einen Raketenantrieb für Fernbomber"
erschien und zur geheimen Kommandosache erklärt wurde.
Das hierin beschriebene Raketenflugzeug wurde unter dem
Namen "Silbervogel" bekannt. Modelle des "Silbervogels" wurden im Windkanal
getestet; der Entwurf diente nach dem Krieg in einigen Ländern als
Entwicklungsgrundlage, z.B. für die X-15 in den USA. Nach 1945 arbeitete
Sänger als beratender Ingenieur in Frankreich, wo unter anderem das
Versuchsflugzeug GRIFFON entwickelt wurde, das durch ein Staustrahltriebwerk
mit einem Turbostrahltriebwerk im Zentrum als Starthilfe angetrieben wurde.
Diese Triebwerkskombination wurde auch noch vor jüngerer Zeit im Leitkonzept
SÄNGER-2 für einen europäischen Raumtransporter favorisiert.
1950 war Sänger Mitbegründer der Internationalen
Astronautischen Föderation IAF, der er von 1951 bis 1953 vorstand.
In dieser Zeit setzte er sich intensiv für eine internationale Zusammenarbeit
in der Raumfahrt ein. So konnte er im Februar 1956 auf der von ihm selbst
organisierten "Internationalen Tagung über Staustrahlen und Raketen"
in Freudenstadt im Schwarzwald die erste persönliche Begegnung zwischen
den offiziellen Vertretern der sowjetischen und US-amerikanischen Satellitenprogrammen,
L. Sedow und R. Porter, vermitteln.
Als Eugen Sänger 1954 nach Deutschland zurückgekehrt
war, baute er sein Forschungsinstitut für Physik der Strahlantriebe
(FPS) in Stuttgart mit zunächst noch kleinen Forschungsanlagen auf.
Neben Versuchen mit Kleinststaustrahltriebwerken für Hubschrauberrotoren
wurden aus der Zeit von 1955 bis 1961 vor allem seine Arbeiten über
Heißwasserraketen als Antrieb eines Starthilfsschlittens für
einen Raumtransporter bekannt. Dieser Raketentyp besitzt zwar durch den
Betrieb mit stetig fallendem Druck und den Verdampfungsvorgang während
des Austritts aus der Düse einen relativ geringen Wirkungsgrad, doch
ist er in seinem Aufbau bestechend einfach: Wasser wird in einem Druckbehälter
aufgeheizt und dabei unter Hochdruck gesetzt. Nach Öffnen eines Ventils
strömt es durch eine Expansionsdüse mit hoher Geschwindigkeit
ins Freie.
1961 wurde das damals gerade erst in vollem Umfang eingerichtete
FPS e.V. der DVL unterstellt, Sänger wurde als Berater in Sachen "Raumfahrzeuge
und Startbasen" bei der COPERS, einer Vorläuferorganisation der 1962
gegründeten European Space Research Organization ESRO eingesetzt.
Sänger war nicht sehr glücklich über die schwerfällige
Arbeitsweise der zwischenstaatlichen Organisationen ELDO und ESRO, deren
Beschlüsse sich nicht immer mit seinen Ansichten deckten; doch von
einer privatwirtschaftlichen Initiative westeuropäischer Firmen, die
am 21. September 1961 zur Gründung von EUROSPACE führten, war
er begeistert. Von 1961 bis 1964 erarbeitete er zudem Raumtransporterentwürfe
bei der Fa. JUNKERS. Im Dezember 1962 wurde er als ordentlicher Professor
an den neuen Lehrstuhl für "Elemente der Raumfahrttechnik" der TU
Berlin berufen. Dieser Lehrstuhl war der erste reine Raumfahrtlehrstuhl
an einer europäischen Hochschule. Im Wintersemester 1963/64 wurde
Sänger zum Vorsitzenden der Abt. Flugtechnik berufen, doch schon am
10. Februar 1964 erlag er während einer Vorlesung einem Herzinfarkt.
Sein ganzes Leben lang hatte Sänger bei seinen Arbeiten
an einzelnen Problemen nie die Sicht auf die Raumfahrt als Ganzes verloren
und befaßte sich immer wieder mit den Möglichkeiten der Raumfahrt
in fernerer Zukunft, so z.B. mit einem "Transkosmos-Großraumschiff"
für 1000 Passagiere, sowie mit nuklearen und Photonen-Raketenantrieben
für eine interstellare Raumfahrt, bei der auch die Einsteinsche Relativitätstheorie
berücksichtigt wurde. Nicht zuletzt sah Sänger in der Raumfahrt
einen Weg aus den Problemen einer ständig wachsenden Rüstung,
der auch für die gigantischen Industrie- und Forschungsbetriebe akzeptabel
ist. Mit dieser Ansicht stand er damals nicht allein, auch der Verhaltensforscher
Konrad Lorenz führt diesen Gedanken in seinem Buch "Das sogenannte
Böse" (dtv 1974) auf..
Zeichnung des Sänger´schen Raketenbombers
Eugen Sänger´s Entwurf eines Raketenflugzeugs
mit bis zu acht
Tonnen Nutzlast
"Bereichert" durch einige Kapitel über Bombenflugbahnen,
Auftreffballistik und Angriffsarten, konnte so jedoch die Ausarbeitung
des ursprünglichen Projekts weiterverfolgt werden. Dieses Projekt
erregte nach dem zweiten Weltkrieg großes internationales Aufsehen
und diente als Grundlage zu interessanten Entwicklungen, wie zum Beispiel
der amerikanischen X-15 und natürlich dem Space Shuttle.
Rund 17 Jahre später, im August 1961, hatte Prof.
Sänger im Rahmen eines Beratervertrags mit der Firma JUNKERS wieder
Gelegenheit, sich mit seinem Lieblingsprojekt, dem Raumtransporter, zu
befassen.
Seine Erfahrungen und Erkenntnisse auf dem Gebiet wiederverwendbarer
Raumflugzeuge faßte er in einem umfangreichen Hausbericht "Vorläufige
Vorschläge zur Entwicklung eines Europäischen Raumflugzeugs"
der Firma zusammen.
Diese Vorschläge, aufgrund deren Eugen Sänger
am 30. April 1963 die Leitung der Projektgruppen "Raumtransporter" in der
EUROSPACE, einer ehemaligen Vereinigung europäischer Raumfahrtindustrien
übernahm, betrafen Vorstudien zu einem kleineren, bemannten Transportflugzeug
für Antipodenflug oder Transportmissionen in eine 300-km-Erdumlaufbahn,
dessen charakteristische Grundannahmen wie folgt aussahen:
180 Tonnen Startgewicht; 2,3 Tonnen reine Nutzlast in
Orbit; horizontaler Katapultstart mittels Heißwasser-Raketenantrieb;
in der ersten Entwicklungsphase Zweistufigkeit mit LH/LOX-Raketenantrieb
bekannter Bauart (I=430 sec), bzw. in der folgenden Phase Einstufigkeit
bei Impulserhöhung des Abgasstrahls (bis zu I=540 sec) durch staustrahlartige
Ummantelung des Flüssigkeitsraketenantriebs.
Den Hausbericht der Firma JUNKERS schloß er mit
dem 32. Kapitel am Vormittag des 10. Februar 1964 -wenige Stunden vor seinem
Tod- ab.
Zeichnung des JUNKERS Raumtransporterentwurfs RT-8
Dreiseitenbild des RT-8 von JUNKERS